Joeys Landleben

Sowas kommt von sowas

Auf dem Land ist das ja immer so eine Sache mit der Luft: Entweder, sie ist wirklich so frisch und unverbraucht wie, naja: aprilfrisch gewaschene Wäsche, oder aber es herrscht die sprichwörtliche „gute Landluft“, und die ist für mich manchmal hart an der Schmerz- und Brechgrenze. Besonders im Frühjahr ist es ganz schlimm; wahrscheinlich laufen dann die Güllefässer der Bauern schon über, weil sie im Winter ja nix davon auf die Felder bringen durften. Deshalb heißt es wohl auch in dem alten Lied: „Im Märzen der Bauer...“

 

Ich glaube, ich muss kein weiteres Mal Joey's früheres Leben in Rumänien als Begründung bemühen – mir fällt zumindest in der Galerie unserer bisherigen Hunde keiner ein, der sich nicht mit Herzenslust in Mist oder Gülle gewälzt hätte. Der Joey bildet da also keine Ausnahme; und es scheint sogar, dass er aus seiner ersten Lebenshälfte in der Stadt diesbezüglich noch reichlich Nachholbedarf hat. Denn er wälzt sich nicht nur im Unrat; nein: Manchmal muss er das Zeugs auch fressen. Und meistens hat er den Krempel schon intus, bevor ich überhaupt was davon mitbekommen habe.

Immerhin habe ich beim Joey mittlerweile ein paar untrügliche Alarmsignale kennen und lesen gelernt, die wie ein zuverlässiges Frühwarnsystem funktionieren:

  1. Alarmstufe: Mist- oder Güllegestank der Stärke 1 (größere Distanz): intensives Wittern, Nase im Wind keine unmittelbare Gefahr, aber dennoch ist gewisse Vorsicht geboten: Hund könnte plötzlich über die Straße zur Quelle des Geruchs laufen.

  2. Alarmstufe: Gülle- oder Schweinegestank der Stärke 2 (geringere Distanz oder sehr penetranter Gestank): Hund verdreht glückselig die Augen und krümmt sich vor Wonne größte Vorsicht, Leine kurz halten, Hund nicht aus den Augen lassen!!

  3. (… Ja, diese Alarmstufe hätte ich gern...) Hund tut so, als würde er an etwas vollkommen Uninteressantem schnuppern, Kopf nähert sich beiläufig dem Boden; dann unvermitteltes und plötzliches Wälzen im Unrat, der unmittelbar vor seiner Nase gelegen hat sehr perfide, Eingreifen meistens zu spät!

Wenn ich nicht gerade mit dem eigenen Brechreiz zu kämpfen hätte, könnte ich Alarmstufe 2 durchaus lustig finden – traue mich dann meist jedoch nicht, laut zu lachen... Einmal hab ich's dann aber doch getan. Also laut gelacht, obwohl ich dadurch eine ganze Wolke Gestank eingeatmet habe; nämlich als der Joey sich wieder einmal vor Wonne krümmte, und zwar so sehr, dass er mit beiden Hinterbeinen gleichzeitig abhob, um wie ein dressiertes Zirkushündchen mit hochge-recktem Hinterteil auf den Vorderbeinen zu stehen. Zwar nur wenige Sekunden lang, aber da hätte ich gern eine Kamera gehabt, weil: Sowas glaubt einem kein Mensch!

 

Natürlich bemühe ich mich, den Hund von Mist und Gülle möglichst fern zu halten. Den Genuss von Pferdeäpfeln lasse ich ihm ja grad noch so durchgehen, aber bei Gülle dreht sich mir einfach der Magen um. Und trotzdem schafft's der Joey immer wieder, sich wenigstens ein paar Happen davon reinzuziehen oder immerhin seinen Kragen damit einzuschmieren.

Naja. Er wird’s überleben. Dachten wir...

 

Wenn man ein paar Jahre einen alten und/oder kranken Hund sein eigen genannt hat, dessen medizinische Versorgung – weil großer Hund – einen in die Nähe des finanziellen Ruins getrieben hat, dann dürfte es verständlich sein, dass man für einen fitten und gesunden Hund dem lieben Gott auf Knien dankt. Der Joey ist genau so ein Hund: Als Mischling hat er wahrscheinlich einfach gute Gene mitbekommen, die sich in seiner wirklich robusten Konstitution niedergeschlagen haben. Gut – den ein oder anderen Sprung hat er wahrlich in seiner feinen Porzellanseele davongetragen, aber rein körperlich ist er wirklich in der Blüte seiner Jahre.

 

Um so überraschter war ich deshalb eines kühlen Märzmorgens, als der Joey nur eine kurze Runde laufen wollte, um dann sofort und ohne Frühstück wieder in seiner Kudde zu verschwinden. Die Mittagsrunde fiel noch bescheidener aus, und ich musste ihm schon sehr gut zureden, um ihn überhaupt wieder mit nach Hause zu bekommen. Dort dann schlapp bis apathisch, so dass ich mir ernsthafte Sorgen zu machen begann und mit seiner Vorbesitzerin telefonierte. Besondere Sorgen bereitete mir der Umstand, dass der Hund sich am Vortag mal wieder irgendetwas vom Acker gezogen und verspeist hatte, bevor ich hatte eingreifen können.

Ja, sprach die Vorbesitzerin, das käme durchaus schon mal vor, er vertrage Gülle halt nicht besonders gut. Wenn ich Nux-Vomica-Globuli im Hause hätte, sollte ich ihm diese geben. Hatte ich natürlich nicht, und zum späten Nachmittag wurde es noch schlimmer: Apathisch lag der Joey da, wollte von mir und der Welt nix wissen, auch nicht mit mir reden und schon mal gar nicht spazieren gehen.

Also mit Hund das erste Mal seit seinem Einzug zum Tierarzt.

Der jedoch schaut sich nur kurz die Schleimhäute an, misst noch Fieber, drückt etwas am Hunderücken herum, und der Joey geht in die Knie. Alles klar: keine Vergiftung – der Hund „hat Rücken“. Woher?! Naja, geklettert und gespurtet ist er am Vortag schließlich auch; dabei hat er sich womöglich etwas verrenkt. Also Schmerzspritze jetzt und Schmerzmittel für zu Hause und bitte noch etwas Schonung für den Hund.

Am nächsten Tag will Joey von Schonung nix mehr wissen, kann auch wieder fressen; nach zwei weiteren Tagen ist er wieder ganz der Alte.

 

Olaf und mich lässt diese Episode dennoch ein wenig ratlos zurück. Warum hat ein Hund plötzlich Rückenschmerzen? Ich entwickle irgendwann meine eigene Theorie: Vor wenigen Wochen hat der Joey in der Nacht mit dem Fuß eine Lampe von der Fensterbank gerakt, die direkt auf ihn drauf gepoltert ist. Bilanz dieses Unfalls: Lampe heile, Hund auch heile, aber nächtlicher (Schreck-)Durchfall beim Hund und wochenlange Weigerung, in seiner Kudde zu schlafen. Hm, überlegt jetzt die TCM-Therapeutin in mir, ein Schock schwächt die Nieren-Energie. Eine geschwächte Nieren-Energie geht in der Regel mit Rückenschmerzen einher. Des Schüppchens Hexenschuss also eine Folge des Lampen-Unfalls?! Denkbar wär's immerhin...

 

Nicht ganz ein Jahr später guckt mich der Joey eines morgens mit einem Gesichtsausdruck an, der mir noch allzu vertraut ist: Die Mundwinkel hängen ihm bis auf die Knie, und er liegt völlig verkrampft auf seiner Decke. Diesmal bleibe ich etwas entspannter, fahre aber dennoch zum Tierarzt, den ich mit den Worten begrüße: „Ich glaube, der Hund hat's mal wieder im Kreuz.“ Was der Hund denn gemacht habe, will der Tierarzt wissen. „Nichts besonderes“, sage ich, „spurten und springen tut er ja schließlich täglich.“ Und heimlich denken tu' ich noch: „Und ein Lampen-Trauma ist es diesmal auch nicht.“

Diesmal wird der Hund sogar geröngt, um eine Spondylose oder andere Rückengeschichten auszuschließen. Natürlich stimme ich der Untersuchung zu, aber insgeheim frage ich mich schon, woher just der Joey denn bitte eine Spondylose haben soll?!

Wenig überraschendes Ergebnis schließlich: 1a-Wirbelläuse, dafür ein leichter Beckenschiefstand. Also wieder Schmerzspritze und Schmerzmittel. Diesmal dauert es ein klein wenig länger, bis der Hund wieder rund läuft, aber auf seinem langen Spaziergang besteht er trotz alledem. Nachmittagsrunde von Olaf und Hund also: die extra-lange Lutterwald-Strecke.

 

Am Abend fahren wir auf dem Rückweg vom Einkaufen zufällig an einem Teil der heutigen Spazierstrecke der beiden entlang. Als wir in Höhe des Schweinemastbetriebes sind, füllt besonders „gute Landluft“ den Innenraum des Wagens. Ich unterdrücke den Brechreiz, und vor meinem geistigen Auge sehe ich gleichzeitig die verzückt verdrehten Augen vom Joey.

Scherzhaft frage ich Olaf: „Und – musste er sich wieder vor Wonne krümmen bei dem Gestank?!“ - „Klar, wie immer.“ - „Auch wieder auf Vorderbeinen gelaufen?!“ - „Viel hat nicht gefehlt!“

Und dann zählen wir beide ganz plötzlich eins und eins zusammen: „Jetzt weiß ich auch, warum der Hund im Frühjahr immer 'nen Hexenschuss hat!“ rufe ich, und Olaf weiß es just im gleichen Moment auch: „Chanel No. 5!!!“

Auch mal 'ne Möglichkeit: Dem Akupunkteur ist nix zu schwör!

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