Wie das Schüppchen zu seinem 2. Spitznamen kam
[Schnatgang, der: alter oder wiederbelebter Brauch der Grenzbegehung; geschichtlicher Hintergrund: in früheren Zeiten dienten Waldschneisen, Bäche, Hecken oder Gräben als Grenzmarkierung. Um
die Korrektheit der Gemeindegrenze zu kontrollieren, die Grenzmarkierungen freizuschneiden und den neuen Bürgern die Kenntnis über den Verlauf der Grenzen zu vermitteln, fanden regelmäßige
Grenzbegehungen, sogenannte Schnatgänge, statt.]
Es gibt ja Dinge, die tue ich nur aus Zuneigung zum Hund, und deshalb tue ich sie gern. Aber bei dem Wort „gern“ knirsche ich manchmal schon ein bisschen mit den
Zähnen.
Zu diesen Dingen gehört nämlich: Joey's Lieblingsrunde. Wann auch immer wir nach draußen gehen – schon von der Haustür aus stiefelt er zielstrebig in diese
Richtung, als gäbe es keine Alternative. Und selbst wenn wir in Richtung Dorf losmarschieren, versucht er, mich an der Abzweigung zur Erpestraße doch noch irgendwie zu seiner Lieblingsstrecke zu
ziehen.
Eine kleine Anmerkung am Rande: Meine Lieblingsstrecke ist eine ganz andere; und ich finde ja schon, dass der Hund aus Zuneigung zu mir auch gern einmal
denselben Enthusiasmus zeigen dürfte, den er an den Tag legt, wenn wir seinen Weg gehen. Aber okay.
Also zu Joey's Lieblingsrunde:
Gegen die erste Hälfte der Strecke habe ich ja gar nicht viel einzuwenden, führt uns der Weg zunächst noch an einigen Feldern entlang, durch ein kleines Wäldchen,
an dem ein oder anderen schönen Garten vorbei...
Die zweite Hälfte jedoch, also quasi der Rückweg, tangiert ein Gewerbegebiet und verläuft dann entlang einer schmalen, aber vor allem zu Feierabendzeiten vergleichsweise vielbefahrenen Landstraße, die zudem über endlose Kilometer fast kerzengeradeaus durch die platte Landschaft führt – laaaangweilig!
Findet der Joey aber mal gar nicht, und wie sehr ich ihn auf dem Rückweg auch antreibe – er schafft es immer wieder, dass wir für die erste Hälfte der Strecke ein Drittel, für die zweite Hälfte jedoch zwei Drittel der Zeit benötigen.
Denn er muss hier: in die Landschaft schauen, am Gullideckel schnuppern, den Straßenrand nach Mäusen durchwühlen, in die Gräben springen, am Gullideckel schnuppern, Gras ausrupfen, in die Landschaft schauen...
Aber für ihn tue ich's ja in der Regel auch gern; Hauptsache, er ist zufrieden.
Neulich beim Grillabend bei Freunden: Die Gespräche trudeln so vor sich hin, springen von hier nach da – wie's halt so ist zu vorgerückter Stunde. Ich weiß nicht
mehr, wie wir auf das Thema gekommen sind, aber ich glaube, es war durch das Stichwort „Schnatgang“.
Jedenfalls diskutieren wir den Verlauf des Krullsbachs, wo er entspringt, wo er mündet. Ausgerechnet ein Fahrschullehrer in der Runde
kann genau angeben, wo der Krullsbach in die Lutter mündet, und er glaubt auch zu wissen, wo der Bach entspringt. Den Verlauf des Baches innerhalb des Dorfes kann dagegen ich recht genau angeben,
zumindest, was meine Lieblingsstrecke mit dem Hund betrifft.
Als wir spät am Abend nach Hause kommen, schaue ich doch noch einmal auf Google Maps nach, und tatsächlich hatte der Fahrlehrer mit allen Angaben recht. Trotzdem
kann ich auf der Karte den genauen Ursprung des Baches nicht so recht finden, obwohl dies den Teil von Joeys Lieblingsrunde betrifft, die wir schon gefühlte 1000 Mal abgelaufen
sind.
Um überhaupt nochmal auf Joey zurückzukommen: Ich hege ja immer wieder die Befürchtung, dass wir dem Hund nicht wirklich gerecht werden und er sich bei uns
langweilt, denn manchmal ist er schon unterfordert.
Es ist aber auch schwierig, ihn angemessen zu beschäftigen, denn wie beschäftigt man einen Angsthund, der kein übermäßiges Faible für
Leckerchen oder gar Spielzeug hat? Das war zumindest das entscheidende Argument gegen das Agility-Training, welches wir probeweise einmal mit ihm besucht haben und von dem wir gedacht hatten,
dass es eigentlich genau das Richtige für ihn sein müsste. Alternativ dazu haben wir durchaus auch Ball-, Stöckchen- und Futterbeutel-Suchspiele im Garten ausprobiert. Nö. Außer einem etwas
belämmerten Gesichtsausdruck keinerlei Reaktion vom Joey.
Also auch deshalb immer wieder Joeys Lieblingsrunde, die nach längerem Entzug heute einfach mal wieder dran ist; schließlich soll der Hund im Rahmen dessen, was
möglich und angemessen ist, jeden erdenklichen Spaß haben.
Während es im Frühjahr die vielen Rehe waren, die hier ihre Gerüche hinterlassen und die Strecke für ihn so außerordentlich interessant gemacht haben, hat Joey
heute mal die Straßengräben für sich entdeckt, oder vielmehr das, was davon nach der langen Trockenheit noch übrig ist.
Während ich mir also mal wieder den Kopf darüber zerbreche, wie dieser Hund angemessen zu beschäftigen sei, wetzt er im Schweinsgalopp die ausgetrockneten
Wasserläufe entlang.
An vielen Stellen, wo der Graben durch ein dickes Rohr unter der Straße hergeführt wird, findet der Joey sogar noch etwas Matsche, in der er begeistert
herumbuddelt. Die Beine schwarz bis zu den Knien, kommt er schließlich wieder herausgeprescht, um sich in den nächsten Straßengraben zu stürzen. Hier findet er zwar keinen Matsch, aber dafür
verschwindet er jetzt auf dem Bauch robbend komplett in der Röhre, um mit spinnengewebsverschmiertem Kopf wieder heraus zu kommen, begeistert und übermütig; fast höre ich ihn laut lachen. Und auf
geht’s in den nächsten Graben...
Während der Joey also gut beschäftigt ist – und ich übrigens auch, da ich ja stets aufpassen muss, dass er in seinem Übermut nicht quer über die Straße wetzt, nur
weil der Graben plötzlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite weiterläuft – denke ich plötzlich:
Moooment mal, woher weiß der Hund eigentlich, an welcher Stelle der Bach wieder aus seiner Unterführung heraustritt?!
Kann das sein, dass der Joey einen siebten Sinn für Grabenverläufe hat?? Völlig entgeistert lasse ich ihn gewähren, und – verdammte
Axt! – der Bursche findet nicht nur den ungefähren Bachverlauf, sondern springt an exakt der Stelle in die hohe Böschung, wo auch der Graben wieder unter dem Asphalt hervorkommt...
Zukunftsvision Teil 1: Bei nächster Gelegenheit kaufe ich mir Gummistiefel, und zwar in Overknee-Länge, damit wir mal so einen richtigen Schnatgang veranstalten
können, um zu erkunden, wo denn bitte der Krullsbach genau entspringt.
Zukunftsvision Teil 2: Wer auch immer einen verschütteten Bachlauf zu beklagen hat: Nachricht genügt – für Geld tun und Joey und ich fast alles.
Und Fazit: Seit heute hat der Hund einen neuen Spitznamen: SCHNATI !!!!
Kommentar schreiben