Oft denke ich, Kinder und Hunde sind sehr ähnlich gestrickt. Ich finde, ich darf so etwas denken, denn ich arbeite seit vielen Jahren mit Kindern und nenne den mittlerweile sechsten Hund mein eigen.
Eine eher banale Einsicht ist, dass mir sowohl Kinder als auch Hunde gnadenlos einen Spiegel vorhalten:
Seitdem ich mit beiden zu tun habe, weiß ich, dass ich als Autoritätsperson nicht die beste Figur mache. Stellen sie die Rangordnung grundsätzlich infrage, gehe ich ähnlich vor, um die Hierarchien wieder klarzustellen: Ich gehe als erste durch die Tür; ich gebe vor, wann Zeit ist zu spielen und wann Zeit ist zu essen.
Das mache ich nicht besonders gern, aber andernfalls tanzen sie mir auf dem Kopf herum. Wenn ich meine Konsequenz vernachlässige, springen sie über Tische und Bänke.
Ein schlechter Tag, an dem mir meine Aufmerksamkeit abhanden kommt, und sie meinen, dies durch Frechheit, machohaftes Gehabe oder prophylaktische Pöbeleien kompensieren zu müssen. Immer wieder muss ich mich zentrieren, konzentrieren, erden.
So war's zumindest bei Ron, dem Vorgänger von Joey.
Joey ist zwar ganz anders, aber deshalb gebe ich meine These nicht unbedingt auf.
Denn beide, Kinder und Hunde, sind sich in der Ausformung ihrer sozialen Kompetenz sehr ähnlich.
Bei manchen habe ich das Gefühl, dass sie bereits sämtliche Zwischentöne auf der Klaviatur des freundlichen und respektvollen Miteinanders beherrschen; es sind
schon sehr reife Persönlichkeiten, von denen sich sogar erwachsene Menschen noch etwas abschauen können. Andere müssen sich in immer wieder neuen Kontexten ausprobieren; sie brauchen etwas
länger, um die Konsequenzen ihres Verhaltens zu begreifen. Und dann gibt es auch noch die, mit denen man immer wieder und in ganz kleinen Schrittchen soziales Verhalten durchdeklinieren
muss.
Und ich finde, dass es selbst den ganz Souveränen gut tut, in Übung zu bleiben.
Aus diesem Grund meiden wir eben nicht ängstlich jeden Kontakt zu fremden Hunden, sondern bieten Joey immer mal wieder die Gelegenheit zu Sozialkontakten unter
seinesgleichen. Zum Beispiel:
Hundewiese an der Sparrenburg, genauer gesagt, der kleine Froschteich. Joey muss hier immer erst seinem Durst nachgeben, denn zu Hause bekommt er ja überhaupt nix
zu trinken, nur Leitungswasser.
Neben dem Teich toben heute drei Hunde miteinander; zwei davon nur etwas größer als Joey, der dritte ein echter Riese, braun und mindestens eine Tonne schwer. Das
Spiel der drei ist ungestüm, wild und laut, aber durchaus freundschaftlich. Joey, der seinen Durst mittlerweile gestillt hat, steht in gebührender Entfernung und schaut dem Treiben
zu.
„Geh ruhig spielen,“ schlage ich vor, was er auch prompt macht.
Gemessenen Schrittes läuft er auf die kleine Gruppe zu, zeigt das volle Programm hündischer Höflichkeit und stellt sich artig vor. Fast kann ich hören, wie er sagt: „Hallo, ich bin Joey, darf ich vielleicht bitte mitspielen?!“
Die beiden kleineren Hunde scheinen's ok zu finden, aber der braune Riese meint nur: „Gibt's ja gar nicht, wir sind schon genug, scher' dich!!“
Und obwohl Joey sofort alle Register canider De-Eskalationstaktik zieht, stürzt der Riese in seine Richtung und vertreibt ihn mit wildem Gegurgel.
Zum Glück scheint seine Besitzerin eine wahre Hundeflüsterin zu sein, denn sie ruft ihn sofort zurück und tadelt ihn eindringlich: „SO-WAS-TUT-MAN-NICHT !!!!“ Der Riese trollt sich umgehend, und auch Joey scheint einigermaßen besänftigt – kann es aber trotzdem nicht lassen, dem Braunen den Stinkefinger hinterher zu zeigen, als der ihm den Rücken zugewandt hat.
Tja, denke ich, es ist echt so eine Sache mit der Höflichkeit: Sowohl bei Kindern als auch bei den Kötern sind's immer die gleichen – nämlich die schüchternen und
freundlichen, die selbst nie jemandem ein Haar gekrümmt haben – die den Arsch vollbekommen und weggebissen werden.
Kindern, denen dergleichen widerfährt, rate ich dennoch, sich nicht beirren zu lassen und es weiterhin mit Freundlichkeit zu versuchen.
Aber wenn es in Mobbing ausartet (ich weiß, dieses Phänomen wird von Eltern gern verdrängt, existiert aber trotzdem!), ist's irgendwann auch mal gut damit, und ich
denke: „Scheiß doch auf die Höflichkeit, darfst ruhig auch mal den Stinkefinger rausholen!“
P.S. „Sorry“ an alle Eltern für den Vergleich. Und gleichermaßen „sorry“ an alle HundebesitzerInnen...
Und nein: Das hier ist nicht der Braune Riese von der Sparrenburg.
Der hier ist schwarz. Und entgegen aller Vorurteile vom Joey äußerst friedfertig. Aber leider etwas dreckig.
Vielleicht muss der Joey deshalb wieder sein Schüppchen ziehen...
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