Das Ende und ein Anfang

Wie der Joey unser Leben betrat

Vor Hundegeschichten ist niemand sicher.

 

Denn früher oder später wird ein jeder, der über einen Bekannten- oder Kollegenkreis verfügt, mit solcherlei Geschichtchen konfrontiert werden. Bei all ihrer Unausweichlichkeit sind sie jedoch auf der anderen Seite extrem nützlich, wenn man mit Menschen schnell und unkompliziert ins Gespräch kommen möchte.

 

Umso unangenehmer ist es mir, Folgendes eingestehen zu müssen: Ich selbst bin kein echter Fan von Hundegeschichten. Nicht die beste Voraussetzung für jemanden, der selbst gern derlei Geschichten verfasst, deshalb möchte ich diesen Umstand kurz erklären.

 

Viele Hundegeschichten enden naturgemäß mit dem Tod des Titelhelden, der einem zuvor über viele Seiten ins Herz gekrochen ist. Es bedarf dabei nicht vieler Worte und auch keiner großartigen Formulierungskunst, um mich zum Heulen zu bringen – mir reicht schon ein Satz wie: „Am Ende starb mein Hund", um einen ausreichenden Anlass für stunden-, ach was: tagelange Traurigkeit zu haben.

Diesen Grund für meine weitestgehende Vermeidung der Lektüre von Hundegeschichten mag man Verdrängung eines wichtigen Aspekts des Lebens nennen, aber die Wahrheit ist: Es reicht mir vollkommen aus, dass wir immer wieder unsere eigenen Hunde begraben müssen – ich muss nicht noch darüber lesen. Für niemanden, der seinen Hund liebt, dürfte der Tod des langjährigen Weggefährten ein leichtes oder gar angenehmes Thema sein.

Aus diesem Grund beginnt diese Geschichte mit dem Tod eines Hundes, denn dann ist die schwerste Hürde schon mal genommen.

Am 24. Januar 2012 ließen wir Ron, unseren uralten Doggenmischling, in die ewigen Jagdgründe ziehen. Es war keine leichte Entscheidung gewesen; und noch lange, lange danach habe ich mich gefragt, ob es die richtige Entscheidung war.

 

Nach dem Tod eines Hundes habe ich es selten lange ohne einen neuen caniden Begleiter ausgehalten – schließlich ist das eine der wenigen Möglichkeiten, wie diese kaum erträgliche Leere ausgeglichen werden kann. Man mag auch das wiederum einen Akt der Verdrängung nennen, denn die Trauer wird durch den neuen Gefährten ein Stück weit beiseite geschoben wie ein Buch, das man jetzt nicht lesen möchte.

Auf der reinen Vernunftebene betrachtet, ist es andererseits aber kaum zu rechtfertigen, warum man einem Hund aus dem Tierschutz oder weitaus prekäreren Verhältnissen einen einigermaßen guten Platz verweigern sollte, nur weil das offizielle Trauerjahr noch nicht verstrichen ist.

Nach Ron ließen wir also die Vernunft regieren, die damals jedoch aus finanziellen und zeitlichen Gründen ein überzeugendes Veto gegen einen neuen Hund einlegte. Außerdem musste unsere Wohnung gründlich renoviert werden – dieses Erbe hatte Ron uns hinterlassen, der sich an vielen Stellen im Haus verewigt hatte.

Offiziell lautete meine Vereinbarung mit Olaf also: Drei Jahre lang würde ich ihn mit diesem Thema in Ruhe lassen, aber dann würden wir uns immerhin mit der Möglichkeit eines neuen Hundes befassen; diese Zeitspanne erschien uns als realistisch, um unser Leben wieder in ein ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Was mich betraf, wurde ich schon nach wenigen Wochen vertragsbrüchig; und ich erwischte mich immer öfter dabei, dass ich durch die Internetauftritte (nicht nur) der umliegenden Tierheime streifte.

 

Mittlerweile glaube ich, dass man unbewusst – zumindest so lange, bis die Trauer einigermaßen bewältigt ist – immer auf der Suche ist nach dem Hund, der einen verlassen hat: man sieht sich Hunde der gleichen Rasse an oder sucht anderweitige Ähnlichkeiten, weil man so vielleicht noch etwas von der Zeit zurückholen kann, die jedoch unwiderruflich vorbei ist.

Das zumindest waren meine Beweggründe, warum ich auch auf Homepages diverser „Doggen-in-Not“-Vereine unterwegs war. Auf so mancher dieser Seiten stieß ich auf vermeintliche Doppelgänger vom Ron, und ich war erschüttert, wie viele Heimatlose es davon im Tierschutz gab.

Auch wenn Olaf, dem ich meine Funde zeigte, stets die gleiche Antwort parat hatte („Drei Jahre!!“), waren wir uns dennoch grundsätzlich einig, welche Kriterien der potenzielle neue Mitbewohner erfüllen musste: Er durfte gern schon älter sein, musste dafür aber unbedingt auch mal alleine bleiben können und sollte bitte, BITTE nicht so anstrengend und schwierig sein wie der Ron.

Nach ungefähr zweieinhalb hundelosen Jahren waren die Bedingungen für einen neuen Hund zwar einerseits besser geworden (ich hatte einen Job gefunden und damit ein stabileres Einkommen; Olafs Studium neigte sich dem Ende zu), waren andererseits aber irgendwie auch noch die gleichen Lebensumstände wie zuvor.

Denn: Hat man Arbeit, hat man zwar mehr Geld, aber weniger Zeit; hat man Zeit (weil vielleicht arbeitslos), hat man weniger Geld. Also noch immer keine idealen Voraussetzungen für einen neuen Hund, wie wir fanden.

Außerdem (und das war das unausgesprochene, aber gewichtigere Argument) sind drei hundelose Jahre eine verdammt lange Zeit; Zeit, in der alte Selbstverständlichkeiten der Hundehaltung über Bord geworfen und durch neue Dogmen ersetzt worden waren – oftmals solche, die wir nicht mehr kannten, geschweige denn, verstanden. Und wenn ich einmal ehrlich zu mir selbst war: Ich hatte nicht einmal mehr das Gefühl, ausreichend Sachverstand für einen Anfängerhund zu haben.

 

Je näher nun also das magische Datum der selbst auferlegten und bald zu Ende gehenden Drei-Jahres-Frist rückte, desto mehr wurde der neue Hund zu einer nur mehr virtuellen, beinahe mystischen Gestalt, die – groß, schwarz und souverän – durch unsere Köpfe spukte.

Und dann kam: Joey.

Stand als Notfall nach fast exakt drei Jahren in der Betreffzeile einer E-Mail. Zog nur zwei Tage später als Pflegehund bei uns ein. War weiß Gott nicht mein Traumhund, weil: klein(er), weiß und voller Ängste, und schaffte es dennoch, unser Leben nicht auf den Kopf, sondern in jeglicher Hinsicht vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen.

Niemand von uns hatte ernsthaft geglaubt, dass alles so einfach sein konnte.

Und das einzige, was mir spontan dazu einfiel und mich seitdem gleichsam als Lebensmotto begleitet, war eine Textzeile von Nick Cave:

 

It's funny how things go!“

 

Bild: Joey auf seiner Lieblingsdecke; Smeura Rumänien; Tierhilfe Hoffnung, Tierheim Bielefeld

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